Wie ihr wisst, kann in meinen Augen so ziemlich nichts mit englischem Theater konkurrieren, und so ist es klar, dass mein Theatertrip das Highlight der Woche war, auch wenn dieser erst am Ende der Kalenderwoche 8 begann.
Das erste Stück (Endgame von Samuel Beckett) werde ich tatsächlich nicht näher besprechen, weil es mich am wenigsten beeindruckt hat, obwohl Alan Cumming und Daniel Radcliffe (sowie Jane Horrocks und Karl Johnson in den Mülltonnen 😉 ) schon gut gespielt haben. Aber ich musste verdammt aufpassen, meinem Körper nicht nachzugeben und ein Nickerchen einzulegen…
Uncle Vanya (Anton Tschechow, adaptiert von Conor McPherson, Regie Ian Rickson, 22.2.2020, Harold Pinter Theatre)

Diese Produktion besticht als erstes durch das unfassbar schöne Bühnenbild (Rae Smith) und die naturalistische Beleuchtung (Bruno Poet). Ich konnte mich kaum satt sehen an diesem Wohnraum mit hohen Wänden mit so vielen kleinen Details. Dazu schien die Sonne von der – vom Publikum gesehen – linken Seite durch die Glasfassade, durch die man den Garten sehen konnte. Ich wollte nichts sehnsüchtiger als auf dieser Bühne spazieren zu gehen… Zu Recht wurde beides nun auch für einen Olivier Award nominiert.

Und dann tritt Toby Jones (ebenfalls nominiert für den Olivier Award) in der Titelrolle das erste Mal auf und du liegst erstmal am Boden vor Lachen angesichts seines Sarkasmus. Die Übertragung in eine moderne Sprache führt dazu, dass die Dialoge völlig realistisch wirken – ein großer Pluspunkt. Richard Armitage spielt den frustrierten Arzt Astrov, in den sich Sonya (Aimee Lou Wood, derzeit in Sex Education auf Netflix zu sehen), die Nichte von Vanya, verliebt. Verständlicherweise, denn er ist schon fesch: Groß, dunkelhaarig, Bart, gut gekleidet – und dann ist da noch diese unwiderstehliche Stimme von Armitage, die ich schon fast vergessen hatte (hatte ihn seit The Hobbit nicht mehr wirklich gesehen/gehört). Aber glücklich ist Astrov nicht mit seinem Leben – nur wer ist das schon in diesem Stück?

Das Leben wird komplizierter dadurch, dass sich Professor Serebryakov (Ciarán Hinds) – Vater von Sonya und Mann von Vanyas verstorbener Schwester – mit seiner neuen Frau Yelena (Rosalind Eleazar) auf dem Landgut eingenistet haben, weil er dort arbeiten will. Yelena scheint zwar keinen eigenen Antrieb im Leben zu haben, aber mit ihrer Schönheit verdreht sie sowohl Vanya, als auch Astrov den Kopf. Das kann natürlich nicht gut gehen. Als der Professor seine Pläne offen legt, das Gut zu verkaufen, um sich davon ein Leben in der Stadt leisten zu können, läuft alles aus dem Ruder…
Das Stück ist außerordentlich gut besetzt, wobei für mich Toby Jones‘ Schauspiel eindeutig am eindrücklichsten war. Diese Energie, die er an den Tag legt, ist einfach nur bewunderswert. Doch auch Richard Armitage hat mir sehr gut gefallen – deutlich besser als in der Übertragung, die ich von The Crucible gesehen hatte. (Damals hatte er mir zwar schon auch in den leiseren Momenten imponiert, insgesamt wurde mir aber zu viel rumgeschrien.) Aber auch alle anderen Rollen sind meisterhaft besetzt – einfach eine rundum gelungene Produktion, die mir weiterhin Lust auf Tschechow macht.
An der Stage Door habe ich bis auf Richard Armitage, der bedauerlicherweise ausnahmsweise nicht signierte, Dearbhla Molloy und Aimee Lou Wood (schade!), alle erwischt. Besonders hat mich die Begegnung mit Toby Jones gefreut, auch wenn mir mehr als ein „You were amazing!“ nicht eingefallen ist. Im Nachhinein finde ich es auch toll, dass ich Rosalind Eleazar getroffen habe – und ihre Kleider gelobt habe (, die sie laut eigener Aussage selbst ausgesucht hatte), denn sie habe ich dann zwei Tage später in The Personal History of David Copperfield auf der Kinoleinwand gesehen. Peter Wight habe ich gesagt, dass er ein gutes Händchen bei der Auswahl seiner Produktionen hat, weil ich ihn schon in Hamlet (mit Andrew Scott) dreimal gesehen hatte und nun auch wieder in einem sehr guten Stück. Er hat sich sehr dafür bedankt.
The Comedy About a Bank Robbery (Henry Lewis, Jonathan Sayer & Henry Shields für Mischief Theatre, 23.2.20, Criterion Theatre)
Am 1. Mai läuft diese Komödie, die ihren Witz aus Wortspielen und Slapstick-artigen Szenen zieht, im West End aus – ein Grund für mich, sie mir noch ein drittes und letztes Mal anzusehen, und zwar hauptsächlich, weil Séan Carey eine der Hauptrollen spielt. Ihn hatte ich das erste Mal im August 2017 in der Schwestershow The Play that Goes Wrong gesehen und auch an der Stage Door getroffen. Seitdem habe ich ihn noch ein weiteres Mal in The Play that Goes Wrong gesehen – und nun zweimal in The Comedy About a Bank Robbery. Wir kennen uns. Ich habe im Vorfeld über Twitter mein Kommen angekündigt, er warnte mich vor, dass er zwischen Nachmittags- und Abendvorstellung einen Termin hat und deswegen nur für ein kurzes Hallo Zeit. Aber das war dann umso herzlicher: Eine Umarmung zur Begrüßung, ich habe ihm eine Geschenkpackung Ritter Sport für die ganze Truppe überreicht und wir haben ganz kurz gesprochen (sein nächstes Engagement steht evtl. und wäre dann nicht für das Mischief Theatre), und uns dann zum Abschied wieder umarmt. Einfach schön. Und ich brauche dafür kein Beweisfoto.
Ach so, und das Stück?! 😳 @Sim_lein und ich haben uns köstlichst amüsiert – das komödiantische Timing der Truppe ist einfach fantastisch. 😀
Und nun das ABSOLUTE Highlight der letzten Woche (KW 9) *trommelwirbel* (Spoiler sind zu erwarten):
Cyrano De Bergerac (Edmond Rostand, frei adaptiert von Martin Crimp; Regie Jamie Lloyd, 24. & 25.2.2020, Playhouse Theatre)
Christian: Cyrano?
Leila: You haven’t heard?
Cyrano is like the all time crazy genius of the spoken word
Indeed. Selten hat mich die Sprache eines Stückes oder eines Charakters in einem Theaterstück so in ihren Bann gezogen. Martin Crimp hat den französischen Klassiker (1897) in ein modernes Englisch übertragen, aber inklusive Reim. Das klingt oft wie ein Poetry Slam oder Rap Battle (verstärkt auch durch Handmikrofone), was die Jamie Lloyd Company da auf der Bühne präsentiert. Dadurch wirkt der Text überaus lebendig, obwohl man ja denken könnte, dass Gereimtes auf der Bühne unnatürlich wirkt.
Schon in der ersten Szene – alle Schauspieler*innen sind dabei involviert, nur James sitzt mit dem Rücken zum Publikum ganz hinten auf der Bühne – hat mich fasziniert, wie vielfältig die Besetzung ist: Menschen aller möglichen ethnischen Herkunft, eine Kleinwüchsige, alle möglichen Körperformen, Männer und Frauen… Und jede*r spricht mit seinem/ihrem* natürlichen Akzent, was die Vielfalt noch einmal vergrößert – und dazu führt, dass wir James‘ sexy schottischen Akzent lauschen dürfen. Ich mag dieses Konzept, weil es den Genuss der Poesie noch zusätzlich erhöht und jede einzelne Person einzigartig macht.

Dann tritt Cyrano mit einer Wucht auf – und ab diesem Zeitpunkt stand ich komplett im Bann von James McAvoy, dem „crazy genius of the spoken word“. Er legt alles hinein: Sarkasmus und Verletzlichkeit, Wut und Liebe, Verzweiflung und puren Sex. Und das alles mit einer Eloquenz, die natürlich der grandiosen neuen Version von Martin Crimp geschuldet ist. So redet er z. B. über seine Nase (die Produktion verzichtet auf eine künstliche überdimensionale Nase, sondern lässt James „in Natura“):
But my nose is huge –
it’s huge, my friend – this ‘I’m not looking’ subterfuge¹
is crass. My nose is out – it’s out and proud –
it’s out there – it’s full volume – loud –
it blasts the world – thrusts and attacks –
my nose is permanently – yes? yes? –
hear it? – set to max –
and at the same time is the sign
of probity² – wit – magnificence – sure I’m
a little crazy, but this organ represents
courage – courtesy to others –
genuine independence –
things you will never have. You’re full of shit:
You cannot grow my nose, nor can you diminish it.
1 Ausflucht/Ausrede 2 Rechtschaffenheit
(Man muss das Skript laut lesen, sonst funktioniert der Reim nicht. Leider wird die Formatierung nicht ganz richtig von WordPress übernommen.)
Schon wie damals bei The Ruling Class übt James eine Faszination aus, die sich paradoxerweise kaum in Worte fassen lässt. Ich war definitiv nicht die Einzige, die ihm an den Lippen hing und jede noch so kleinste Änderung in der Mimik und im Tonfall aufsaugen wollte.

Ich lachte von Herzen mit ihm, mein Herz brach mit seinem, seine Leidenschaft setzte mein Herz in Flammen:
Beim ersten Mal (Ende November) hat sich die Anspannung und Begeisterung auch ganz körperlich gezeigt. Als nach der Pause das Licht im Saal aus- und das auf der Bühne anging, rutschte ich im Sitz nach vorne und setzte ich mich aufrecht hin, damit ich mich noch besser auf das Geschehen auf der Bühne konzentrieren konnte. Den Effekt hatte ich beim zweiten und dritten Mal nicht ganz so, aber die Augen konnte ich trotzdem nicht von Cyrano wenden.
Doch nicht allein die Performance von James und der Text von Crimp machten diese Produktion zu so einem speziellen Ereignis – es ist auch die Inszenierung durch Jamie Lloyd, der wieder (wie bei Betrayal) auf eine spartanische Bühne (mit Stühlen und Mikroständern als einzigen Requisiten) setzt, auf der jedoch durch ausgeklügelte Choreografie (für die Kämpfe: Kate Waters) und den Einsatz von Licht (Jon Clark) keinerlei Langeweile eintritt. Zunächst gewöhnungsbedürftig, aber letztlich genial, fand ich die Idee, häufig beide Dialogpartner*innen (zunächst) in Richtung Publikum sprechen zu lassen. So konnten die Zuschauer*innen die Gesichter beider Personen studieren – und es war spannend zu sehen, wie gut die jeweiligen Reaktionen trotzdem waren. Denn man muss sich das nicht wie Monologe zum Publikum vorstellen, sondern sie sprachen wirklich jeweils zu ihren Gesprächspartner*innen. Das funktionierte erstaunlich gut, und es gab zusätzliche Dynamik, wenn sie sich dann irgendwann doch einander zuwandten. Dazu kam das Sound Design (Ben & Max Ringham), das u. a. durch das Live-Beatboxing der Schauspielerin Vaneeka Dadhria bestimmt war (sie ist phänomenal!), und ansonsten durch Unaufdringlichkeit bestach.

Ich war ja von Jamie Lloyds letzter Regiearbeit (Betrayal mit Tom Hiddleston, Zawe Ashton und Charlie Cox) nicht ganz so begeistert (auch wenn mir da auch Choreografie und Lichtdesign ausnehmend gut gefallen haben), doch sein Cyrano De Bergerac ist eine Ausnahmeproduktion, die auf vielen Ebenen äußerst innovativ ist und es schafft, Sprache so poetisch und mit so viel emotionaler Wucht auf die Bühne zu bringen, dass in mir Verlangen nach mehr Poesie in meinem Leben wiedererweckt wurde.
Während des Stückes schreibt ein Schauspieler ein Zitat Cyranos an die Wand, das ich nur unterstreichen kann: „I love words. That’s all.“

(Und deswegen schaue ich mir am Montag das Stück nochmal über NT LIVE an und nehme ein paar Schüler*innen mit. 🙂 )
An der Stage Door habe ich James übrigens nur im November getroffen, und da man sich damals zwischen einem Selfie und einem Autogramm entscheiden musste, habe ich nur ein Foto. Von ein paar anderen habe ich ein Autogramm ergattern können, mit Vaneeka Dadhria und Chris Fung hatte ich kurzen Kontakt über Twitter.