Tom Stoppard Double Feature: Travesties (Apollo Theatre) und Rosencrantz & Guildenstern Are Dead (The Old Vic): 4. März 2017

Per Zufall sind die zwei Stücke, die wir uns am Samstag ansahen, vom selben Autor: Tom Stoppard. Das sorgte für einen sehr vergnüglichen Nachmittag und Abend, denn Stoppard weiß wohl, wie man witzige Dialoge schreibt und ebensolche Situationen erschafft. Ein ganz besonderes Schmankerl war für uns, dass sich Stoppard den zweiten Teil von Rosencrantz & Guildenstern Are Dead wenige Meter von uns entfernt stehend (oben im Circle) angesehen hat. Schon toll, wenn der Autor zugegen ist!

Travesties (14:00)

Um dieses Stück und seine vielen Anspielungen zu verstehen, braucht man ganz schön viel Hintergrundwissen, das mir leider zum Teil gefehlt hat, weswegen ich in den ersten 20 Minuten etwas irritiert war, weil gefühlt alle Menschen im Publikum mehr gelacht haben als ich. Und ich bin eine gute Lacherin – so sehr, dass sich manche Leute, die eher zum Lachen in den Keller gehen, sogar daran stören! Folgendes Hintergrundwissen ist zum vollen Verständnis von Travesties notwendig: Kommunismus und Lenin (inkl. Lenins Exil in der Schweiz), Oscar Wildes The Importance of Being Earnest, Tristan Tzara und der Dadaismus, Leben und Werk von James Joyce.

Lenin war für mich als Geschichtslehrerin weniger das Problem, aber bei den anderen Autoren rächte sich bei mir zum einen der Schwerpunkt Amerkanismus im Englischstudium (Wildes Werk habe ich vielleicht schon einmal gelesen oder gesehen, von James Joyce habe ich aber bisher die Finger gelassen – zurecht, wie ich von schauwerte erfuhr) und zum anderen das mangelnde Interesse an literarischen Strömungen, wie dem Dadaismus (von Tristan Tzara hatte ich noch nicht einmal gehört).

Quelle: londontheatredirect.com

Trotzdem hat mir das Stück gut gefallen, schon allein wegen der fantastischen Besetzung: Tom Hollander war extrem umterhaltsam als Henry Carr, Freddie Fox gefiel mir sehr als Tristan Tzara und Forbes Masson, den ich schon zum dritten Mal in einer Nebenrolle im Theater gesehen habe (nach Richard III und The Ruling Class), verkörperte Lenin perfekt. Als er einmal eine Rede von der Kanzel hielt, hatte man wirklich das Gefühl, in die Vergangenheit gereist zu sein und live dabei zu sein (das lag natürlich auch an Maske, Bühnenbild und Beleuchtung). Doch auch die mir unbekannten Peter McDonald (James Joyce) und Tim Wallers („Butler‟ Bennett) und die drei Damen machten ihre Sache sehr gut. Meine Lieblingsszene mit Clare Foster als Cecily war die Szene, in der sie aus dem Russischen in einem Gespräch zwischen Lenin und Carr übersetzte, und Sarah Quist als Lenins Frau Nadya hatte eine beeindruckende Singstimme.

Quelle: londontheatredirect.com; Freddie Fox (als Tzara) ist inzwischen allerdings erblondet.
Quelle: londontheatredirect.com; v.l.n.r. Amy Morgan (Gwendolen), Peter McDonald (Joyce), Clare Foster (Cecily)

Singstimme? Ja, es gab ein paar Gesangs- und Tanzeinlagen – das war wirklich erfrischend und lustig (und gut gesungen!). Überhaupt ist das Stück einfach flott, frech und fun! Um aber jede Anspielung verstehen zu können, empfehle ich, sich etwas vorab zu den oben erwähnten Themen und Personen zu informieren.

Rosencrantz & Guildenstern Are Dead (19:30) – Review und Fangirl-Moment

Quelle: officialtheatre.com

Hier hatte ich keinerlei Verständnisschwierigkeiten, schließlich hatten wir am Abend zuvor Hamlet gesehen, und so war dieses Stück – sozusagen ein Spin-off zu Shakespeares Stück – die perfekte Ergänzung. Zwischendurch träumte ich davon, wie es wohl wäre, dieses Stück direkt mit einer kompletten Hamlet-Inszenierung zu verknüpfen, was allerdings zu einer etwa fünfstündigen Dramedy führen würde…

Stoppard lässt seine zwei Protagonisten Rosencrantz (Daniel Radcliffe) und Guildenstern (Joshua McGuire) zu Beginn Münzen werfen: über 80 mal schon ist die Münze immer auf „Heads‟ und damit in die Tasche von Rosencrantz gefallen. Sofort in dieser Eingangsszene schaffen es McGuire und Radcliffe, das Publikum für sich einzunehmen. Interessant ist übrigens, dass McGuire, den ich zuvor schon in einer Nebenrolle in The Ruling Class gesehen hatte, eigentlich den aktiveren Part übernimmt. Ein schönes Zeichen dafür, dass Radcliffe sich selbst nicht zu wichtig nimmt.

Quelle: thestage.co.uk, Photo by Tristram Kenton; Joshua McGuire und Daniel Radcliffe

Guildenstern ist auch derjenige, der scheinbar mehr Durchblick hat: Immerhin scheint er zu wissen, dass er Guildenstern heißt, während er Rosencrantz immer wieder daraufhin testet, und dieser meist auch reagiert, wenn er mit „Guildenstern‟ angesprochen wird. Das ist so herrlich, wie Stoppard dieses Detail aus Hamlet herausgenommen hat und darum eine Geschichte gesponnen hat – ein wahrlich brillantes Stück!

Aber Guildenstern hat eben nur scheinbar mehr Durchblick – im Grunde genommen haben beide keine Ahnung, was eigentlich der Zweck ihres Daseins ist und warum sie an den Hof des dänischen Königs gerufen worden sind. Dort angekommen, fühlen sie sich wie Puppen an Fäden, mit denen gespielt wird, ohne dass sie darauf Einfluss hätten… Das spielen die beiden (beide etwa gleich klein 😉 ) wirklich mit viel Schwung und in einem hohen Tempo. Radcliffe und McGuire harmonieren perfekt auf der Bühne, McGuire hat mir eigentlich noch einen Tick mehr gefallen – seine Gesicht spiegelt einfach jede Regung von Guildenstern wieder.

Quelle: thestage.co.uk; Photo by Tristam Kenton; in der Mitte David Haig

Schon auf dem Weg zum Hof des Königs treffen sie die dritte wichtige Person, nämlich The Player (David Haig) und seine Theatergruppe – auch eine Entlehnung aus Hamlet. Allerdings hat sich die Truppe um den Player eher darauf spezialisiert, den wenigen Zuschauern, die sie haben (z. B. eben Rosencrantz und Guildenstern), „besondere Dienste‟ anzubieten. Da gäbe es z. B. den jungen (androgynen) Alfred (Matthew Durkan), der für solche Dienste dann auch in Frauenkleidern „gebucht‟ werden kann. Das ist doch etwas anders als in Hamlet … Diese spezielle Ausrichtung wird dann auch bei dem Stück, das sie im Königspalast auf Geheiß Hamlets spielen, deutlich, bei dem sie sich bei der Liebesszene etwas „gehen lassen‟… David Haig ist umwerfend witzig als The Player, fast so etwas wie der heimliche Star der Inszenierung, mindestens aber ebenbürtig den beiden Hauptfiguren.

Dann treten natürlich auch Hamlet (Luke Mullins), Ophelia (Helena Wilson), Horatio (Theo Ogundipe), Polonius (William Chubb), Getrude (Marianne Oldham) und Claudius (Wil Johnson) auf, doch diese sind in diesem Stück ja allesamt Nebenfiguren, und so fand ich diese allesamt nicht besonders herrausragend. Aber das war ja sicher Absicht.

Dieses Stück braucht nicht viel an visuellem Schnickschnack, da der Schwerpunkt auf den z. Tl. absurden Dialogen liegt, und so gab es auch keine aufwändigen Bühnenaufbauten, Wände am königlichen Hof wurden einfach durch Vorhänge dargestellt. Dafür war die Bühne sehr tief, sie war fast tiefer als breit, was ich optisch sehr interessant fand.

Eine rasante, unglaublich witzige Inszenierung, unbedingt über NT Live am (oder ab) 20. April in ausgewählten Kinos ansehen (z. B. im Cinema München und im Cineplex Neufahrn, mehr Infos auf der Website von NT Live)!!!

Fangirl-Moment

In mancher Beziehung war der Samstag, was die Fangirl-Momente anbelangte, etwas enttäuschend, schließlich kam nach der Nachmittagsvorstellung von Travesties keiner der Darsteller aus dem Apollo Theatre heraus, und im Old Vic gingen Veranstalter und Schauspieler wohl davon aus, dass alle nur von Daniel Radcliffe ein Autogramm wollten. Zugegebenermaßen war das wohl für die meisten, die nach dem Stück am Theater anstanden, zutreffend: So viele Menschen hatte ich selbst bei Patrick Stewart und Ian McKellen an der Stage Door nicht gesehen! Wir wollten ja zuerst an die Stage Door gehen und wunderten uns schon, dass da eine Schlange entlang des Theatergebäudes stand, die in die andere Richtung ging. Unbeirrt stellten wir uns mit ein paar wenigen anderen zur Stage Door, wurden dann aber von einem Security-Typen abgeholt und in die andere Schlange eingeordnet. Nun verstanden wir langsam, dass wir wohl zum Treffen mit Daniel Radcliffe wieder in das Foyer hineingehen sollten, sodass Daniel nicht in der Kälte (und vielleicht sogar im Regen) signieren und für Selfies posieren musste. Aber das hieß natürlich auch, dass man andere Schauspieler verpassen würde. Ich sah dann sogar Joshua McGuire kurz und wollte ihm hinterherlaufen, aber er war einfach zu schnell für mich. Schade, denn ich hätte ihm wirklich sehr, sehr gerne gesagt, dass ich es toll finde, dass er – nachdem ich ihn in der Nebenrolle in The Ruling Class gesehen hatte – nun eine Hauptrolle spielt, und das auch verdammt gut. Naja, immerhin hatte ich ihn ja schon mal bei einer anderen Gelegenheit angesprochen (im Foyer des Barbican, als er sich auch Cumberbatchs Hamlet angesehen hatte) Als es dann endlich reinging, sahen wir, dass die ordentliche Schlange außen innen aber nicht mehr so ordentlich war. Da standen dann alle doch wieder im Pulk und wir hatten dabei noch Glück, weil sich Daniel mehr mit der einen Seite beschäftigt hat, der wir näher waren, als mit der anderen. Wir wollten dann sogar noch anderen den Vortritt geben („They were here before us!‟), aber Daniel hat sein eigenes Ding gemacht. Er war aber sehr relaxt, hat z. Tl. auch Widmungen (zum Geburtstag, z. B.) geschrieben und bei den Selfies selbst auf den Auslöser gedrück (und zwar mehrmals, sodass dann auch von mir ein annehmbares Bild dabei war). Wenn man sich nun vorstellt, dass der Andrang wahrscheinlich jeden Abend so ist: Respekt für so viel Geduld für die Fans!

Hier also das Ergebnis:

Ich glaube, mit diesem Bild kann ich dann doch endlich auch mal ein paar Schülerinnen neidisch machen! 😀


20 Gedanken zu “Tom Stoppard Double Feature: Travesties (Apollo Theatre) und Rosencrantz & Guildenstern Are Dead (The Old Vic): 4. März 2017

    1. Du weißt ja, Anonymität und so… 😉 Frag mich eh, warum ich heute (das ging schon los, bevor ich den Beitrag gepostet habe, hat also damit nichts zu tun) plötzlich 219 Besucher habe (am Tag zuvor 64) – da es keine offensichtlichen Referrer gibt, finde ich das sehr verdächtig… :-/

      1. Im Prinzip ist so ein Zuwachs ja positiv zu bewerten. Sind es 219 Besucher oder Aufrufe? Da macht man sich schon so seine Gedanken, verstehe ich sehr gut.

        1. Es waren wohl 68 Besucher laut WordPress. Klar ist Zuwachs prinzipiell gut, aber wenn kein neuer Beitrag veröffentlicht wurde oder keine Verlinkung von einem anderen Blog dazu führt, tippe ich ja irgendwie immer darauf, dass hier Schüler von mir den Link zu meinem Blog gerade mit anderen teilen…

          1. Dann hoffe ich mal, dass es nur ein zufällig interessierter Leser war, der sich eben ausführlich auf deinem Blog umgeschaut hat… 🙂

  1. Der junge Mann ist offensichtlich auf dem Boden der Realität geblieben,zum Glück, das macht ihn sehr sympathisch. Ich werde mir das im April im Kino ansehen. Danke für die interessante review 🙂

  2. Ich hoffe, dass ich mir Travesties nächsten Monat anschauen kann. McGuire und Radcliffe waren toll zusammen – da muss man auch mal sehr das Casting Department loben! Und auch David Haig hat mir sehr gut gefallen – in Guys and Dolls fand ich ihn eher so Mittel. Und es war in der Tat eine gute Entscheidung, dieses Stück nach Hamlet anzuschauen. Toll was Stoppard mit den Charakteren gemacht hat.

  3. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie glücklich mich das Bild mit Daniel gemacht hatte, als ich es zum ersten Mal sah. Und ich weiß gar nicht warum. Ich verspürte nur sofort den Drang euch beiden hübschen einen schönen Platz in der Wohnung anner Wand zu beschaffen. *lach*

    1. Hehe, eine Schülerin, der ich es gezeigt habe, war auch ganz verzückt! 😀 Nur war zu viel los, um ihm zu sagen, dass du mit ihm gerne Musik hören würdest… 😉

        1. Ich freue mich auch immer wieder, THEATERbeGEISTerte zu finden! 🙂 Wobei mir ja deutsches Theater weniger gibt… Ich bin vollends dem englischen Theater verfallen! ❤

          1. Same here. Ich verstehe gar nicht, warum das Land der Dichter und Denker sein Theater so viel weniger zu lieben scheint, als die Briten. Mal ganz abgesehen davon, dass sich die „Szene“ hier in Deutschland für sehr elitär hält und jungen Publikum wenig Anreiz geboten wird, sich dem Thema zu nähern.

          2. Ganz genau! Theater steht in Deutschland für etwas, das sich nur die obere Mittelschicht ab 35+ ansieht. Ich LIEBE das gemischte Publikum in London (anderswo war ich noch nicht im Theater auf der Insel), in dem sich zwar auch ältere Herrschaften befinden, aber auch junge Leute und Menschen, die mit Einkaufstüten und Proviant ins Theater kommen. *schwärm*

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