Hinweis: Wer eine Inhaltsangabe des Stücks von William Shakespeare möchte, kann meine Kurzfassung beim Review zu der Version in den Trafalgar Studios nachlesen oder SparkNotes (z. B.) nutzen.

Schon interessant: Als ich hörte, dass Ralph Fiennes die Rolle des Richard III übernehmen würde, dachte ich: Perfekt – das MUSS der Hammer werden! Schließlich habe ich nicht nur eine hohe Meinung von Fiennes‘ filmischen Auftritten, ich habe ihn schon in zwei Theaterstücken gesehen, einmal über NT Live (Man and Superman) und einmal live vor Ort im Old Vic (The Master Builder, zu dem ich leider tatsächlich immer noch keine Kritik verfasst habe…). Beides Mal hat er mich absolut in awe gehalten – sein Spiel war elektrisierend! Entsprechend hoch waren nun meine Erwartungen. Ich dachte, er würde mir nun das geben, was ich bei Martin Freemans Richard vermisst hatte.
Zu meiner Überraschung kann ich nicht sagen, dass mich Fiennes‘ Spiel mehr in seinen Bann gezogen hätte als das von Freeman. Ja, natürlich: Fiennes commands the stage und es macht Spaß, ihm zuzusehen, aber auch bei ihm fühlte ich mich nicht gleichzeitig angezogen und abgestoßen, denn er macht aus seinen niederträchtigen, mörderischen Plänen keinen Hehl. Irgendwie – obwohl ich das Stück (shame on me) nie gelesen habe und auch erst zwei Inszenierungen des Stoffes gesehen habe – muss es doch für den Zuschauer greifbar gemacht werden, warum Richard mit seinen ganzen Plänen durchkommt und wie er z. B. – womit Richard ja prahlt – noch am Totenbett ihres Ehemanns Anne, die Witwe von Prince Edward (den Richard getötet hat!), davon „überzeugt‟, dass sie nun Richard heiraten sollte. Für mich wäre es nachvollziehbarer, wenn Richard seine schauspielerischen Fähigkeiten (ja, ich meine Richard, nicht Ralph) so einsetzt, dass er unwiderstehlich wirkt. Auch hier, wie bei Freeman, bestand dieses wooing für mich mehr aus Druck, denn als „Bezirzen‟. Seine Liebesschwüre müssten ehrlicher wirken, sollten nicht so offensichtlich als Methode, um zu mehr Macht zu kommen, erkennbar sein. Aber vielleicht liege ich da auch einfach verkehrt – für mich ist nun mal Richard III ein bisschen so wie Frank Underwood aus House of Cards (oder eher umgekehrt), und Kevin Spacey schafft eben diese Ambivalenz in Perfektion: Man verabscheut ihn, fühlt sich aber irgendwie zu ihm hingezogen. Dieser zweite Aspekt hat mir auch bei Fiennes gefehlt.
Nun zur Inszenierung:
Das Stück beginnt mit einer nachgestellten Szene des Fundes des Skeletts von Richard III in Leicester 2012, inkl. Nachrichten-Einspielungen (audio) aus dieser Zeit – das geöffnete Grab bleibt von nun an Teil der Bühne (und Ruhestätte für einige Ermordete) und nach dem Tod Richards stellt ein Arbeiter auch wieder einen Scheinwerfer dort auf. Ein guter Kniff, um der Aufführung einen Rahmen zu geben. Gleichzeitig wirkt dadurch das Stück ein klein wenig wie eine Dokumentation, wie historische Aufarbeitung.
Gegen den letzten Satz allerdings spricht die Tatsache, dass das Stück irgendwie in unsere Zeit versetzt wurde – die Anzüge und vor allem der Einsatz von Smartphones für die Übermittlung von Nachrichten jedenfalls sprechen dafür. Gegen Ende dann, bei der großen Schlacht, haben dann aber die Kämpfer – Richmond und seine Mannen auf der einen Seite und Richard auf der anderen Seite – Ritterrüstungen an. Das passt für mich nicht so recht zusammen. Da fand ich die Inszenierung von Jamie Lloyd (Versetzung in die 70er Jahre) konsequenter – und interessanter. Etwas schade fand ich auch, dass alles so schwarz war: Der Bühnenboden (bis auf das Grab), die Wände, die Vorhänge, die Kostüme. Dazu war die Bühne oft schlecht beleuchtet (absichtlich natürlich), sodass ich mich schon manchmal gefragt habe, wie viel die Zuschauer vor Ort da tatsächlich an Emotionen gesehen haben. Natürlich passt das Schwarz, weil ja ständig alle in Trauer sind, wenn wieder jemand von Richard hingemeuchelt worden ist, aber ich hätte mir tatsächlich ein bisschen mehr fürs Auge gewünscht.
Die Musik war stets laut und bedeutungsschwanger eingesetzt – irgendwie hat sie mich nicht so recht begeistern können, auch bei der sicherlich eindrucksvollen Krönungsszene mit dem Sanctus-Gesang. Irgendetwas sträubte sich in mir dagegen, mich dem sozusagen „hinzugeben‟.
Das klingt jetzt alles sehr negativ, so als hätte mir das Stück gar nicht gefallen. Das stimmt nun so auch nicht. Ich habe mich sicher nicht gelangweilt – und manche Szenen und einzelne Performances fand ich richtig toll. Großartig war beispielsweise die Traumszene: die Idee, beide (Richard und Richmond) nebeneinander am Tisch sitzen zu lassen (als wäre es ein Splitscreen), fand ich hervorragend – und die Flüche der „Geister‟ (Despair and die!) hatten die nötige Bissigkeit.
Vanessa Redgrave als Queen Margaret zu erleben, war ein Genuss. Offenbar wird Queen Margaret oft deutlich anders dargestellt, denn Michael Billington vom Guardian sagt:
Vanessa Redgrave […] turns this relic of the Lancastrian regime from a scolding harridan into a soft-spoken, pathetically demented figure clutching a baby doll whom she proceeds to feed from the bottle.
Mir hat das sehr gut gefallen – vielleicht war das ja ihr letzter Auftritt auf der Theaterbühne (sie ist 79 Jahre alt).

Auch die anderen Frauen haben mich überzeugt, allen voran Aislín McGuckin als Queen Elizabeth. Statt die Ermordung Annes durch Richard zu zeigen (im Gegensatz zur Version mit Freeman fand diese off-stage statt), gab es hier eine Szene, in der Richard Queen Elizabeth vergewaltigt, quasi als letzter Schritt, um sie davon zu „überzeugen‟, dass sie auf ihre Tochter positiv einwirkt, damit diese das Heiratsgesuch von Richard annimmt. Diese Szene war insgesamt eine der stärksten – für mich war das Richards grausamster und am schwersten zu verdauender Auftritt.
Es gab eigentlich keine/n Schauspieler/in, der/die ich richtig schwach fand, besonders stark aber fand ich neben den bereits genannten (und das schließt Ralph Fiennes mit ein) James Garnon als Hastings, Mark Hadfield als Ratcliffe und Lord Mayor, David Annen als King Edward IV und James Tyrell und Tom Canton, insbesondere als Earl of Richmond. Richmonds Reden am Schluss waren die einzigen, die mich so richtig emotional berührt haben – gerne hätte ich von diesem Schauspieler mehr gesehen (er spielte auch noch Sir Robert Brakenbury).

Fazit: Insgesamt sicherlich ein beeindruckender Abend, aber letztlich wurden meine Erwartungen nicht ganz erfüllt. Vielleicht werde ich auch anspruchsvoller, aber da gab es doch schon einige Stücke, nach denen ich fast wie in Trance aus dem Kino oder Theater gegangen bin – dieser Richard III gehörte leider nicht dazu.
Also waren unsere Eindrücke doch sehr ähnlich! Kann dir fast koplett zustimmen, bis auf eines: Ich fand, dass Vanessa Redgrave bei der Aufführung, die ich gesehen hatte, der weakest link war – total schlecht! James Garnon ist mir schon durch viele Produktionen des Globe Theatre bekannt und einer meiner must watch Actors – er hat mich auch bei The Winters Tale mehrmals miteinbezogen – inklusive eines Kusses (!). In Richard III fand ich ihn unterfordert.
Der Höhepunkt meines Richard III abends war Franco Nero, der Vanessa angeschaut und abgeholt hat.
Ich habe damals die Produktion mit Kevin Spacey als Richard gesehen und das hat, wie du es beschreibst, genau so funktioniert! Der Rest der Produktion war aber so la la. Aber am besten hat mir insgesamt als Produktion die all Male Version im Globe gefallen, mit Mark Rylance als Richard und James Garnon als Duchess of York und Richmond.
Ha, also gibt es das doch so, wie ich mir den Richard vorstelle! Kevin Spacey als Richard… ❤ Naja, im Grunde genommen spielt er das ja fortgesetzt in HoC. 😉
Ach ja, Mark Rylance – den habe ich ja das erste Mal bewusst erst vor kurzem in Spielbergs Film "Bridge of Spies" gesehen. Wow, ist das ein großartiger Schauspieler! Hätte mir schon gerne sein Stück angesehen…
Wie, du wurdest von James Garnon während einer Aufführung geküsst?!?? 😮 Ist das so üblich im Globe? Ich glaub, da sollte ich auch mal wieder hin… 😉
Wenn man in der Nähe der Bühne oder an den Wegen zur Bühne steht, bzw. sitzt im Sam Wanamaker: da hat mich James Garnon ausgewählt, dann kann es passieren, dass man in die Handlung mehr oder weniger einbezogen wird. Wenn die Schauspieler merken, dass man da gerne mitspielt, werden sie manchmal auch etwas frecher. 🙂 Ich hoffe, dass diese Tradition wenigstens bleibt. Es hat sich mit der neuen Direktion seit diesem Sommer doch so einiges nicht unbedingt nur zum Positiven verändert. 😦
Mark Rylance hat z.B. auch immer sehr intensiv mit dem Publikum interagiert. Bei Richard III saß ich allerdings – zum Glück, denn es hat geschüttet! Im Sam Wanmaker bei Farinelli and the King hat er mit meinem Sitznachbarn gefrotzelt.