NT Live (aus dem Donmar Warehouse): Coriolanus (30.01.14)

Coriolanus at the Donmar Warehouse, starring Tom Hiddleston

Eigentlich fehlen mir die Worte für das, was ich soeben gesehen habe: Tom Hiddleston als Coriolanus im gleichnamigen Shakespeare-Stück in einer Inszenierung von Josie Rourke (Intendantin des Donmare Warehouse), live übertragen per Satellit ins Cinema in München.

Fast jedesmal, wenn ich eine Inszenierung im Rahmen der NT Live (oder neu: RSC Live) Übertragungen sehe, denke ich mir an irgendeinem Punkt (man verzeihe mir die etwas vulgärere Sprache): Scheiße, muss das ein geiler Job sein, wenn man das richtig gut kann! Wo spürst du diese Intensität, diese emotionale Bandbreite schon in einem „normalen“ Job? Wo teilst du solch intime Momente „on a daily basis“ mit deinen Arbeitskollegen? Ist doch alles nur gespielt? Ich bin mir sicher: Das, was richtig gute (Theater-)Schauspieler leisten, kann nicht nur durch „Technik“ erreicht werden, da musst du schon „ran an den Speck“ und Gefühle in dir aktivieren, die nicht nur den Zuschauer und deine Mitspieler berühren, sondern die dich auch nicht kalt lassen. Gerade auch bei Shakespeare. Es ist für mich absolut bewundernswert, wie man in einer Sprache, die für uns moderne Menschen erstmal irgendwie „unnatürlich“ wirkt, so natürlich agieren kann, dass der Zuschauer fast vergisst, dass das ja Shakespeare-Englisch ist.

Ich wusste schon, dass Tom Hiddleston das kann, denn er hat in der The Hollow Crown – Reihe (Verfilmung von drei Shakespeare-Stücken anlässlich der Olympischen Spiele in London 2012) schon Prince Hal in Henry IV und Henry V in Henry V gespielt und mich da schon umgehauen. Ihm jetzt aber live – wenngleich leider über den Umweg des Satelliten – 2 Stunden und 40 Minuten, mit Pause aber ohne Schnitt, zuzusehen, wie er zeigt, dass er zur Crème de la Crème der Schauspieler, die Großbritannien – ach, die die Welt momentan zu bieten hat, gehört, hat mich tief im Innersten berührt. Besser geht’s einfach nicht!

Er schafft es, alle Facetten des Protagonisten überzeugend darzustellen: den Stolz und die Überheblichkeit des Kriegshelden, der für die Plebejer – das gemeine Volk – nicht viel übrig hat (wie er sie verspottet als er sich die Stimmen beim Volk holt, um Konsul zu werden!), die Wut und Enttäuschung über die Verbannung, obwohl er sich doch seiner Mutter Volumnia (Deborah Findlay) gebeugt hat und sich beim Volk entschuldigen wollte, auch wenn es ihm im Innersten widerstrebte, weil ihm viel an Ehrlichkeit liegt, und dann die sehr emotionale, weiche Seite am Schluss, als er sich für Rom, aber damit gegen sein eigenes Leben entscheidet. In jeder einzelnen Szene ist er so präsent, so „intense“, dass du die Augen nicht von ihm wenden kannst (dazu kommt natürlich erschwerend, dass er unglaublich sexy ist, das hat sogar die Intendantin im Interview in der Pause zugegeben, auch wenn sie betont hat, dass Tom „a great actor“ ist). Dabei spielt er aber die anderen nicht an die Wand, sondern agiert mit ihnen. Es gibt wenige Monologe in dem Stück, sodass eigentlich meistens ein Gegenüber vorhanden ist.

Ein weiterer Schauspieler dürfte Fans von britischem Fernsehen vertraut sein: Mark Gatiss (Mycroft in Sherlock, außerdem ist er Co-Creator und Drehbuchautor der BBC-Serie) spielt Menenius, Coriolanus‘ besten Freund und hat mit die besten Gags in dem Stück. Ja, Gags! Es ist immer wieder erstaunlich – und erfreulich – wie witzig auch die Tragödien sind! Allerdings kommt es natürlich auch immer sehr darauf an, wie das Ganze dann „delivered“ wird. Mark Gatiss tut dies wunderbar, aber auch alle anderen Gags saßen.

Zu guter Letzt wartet das Stück mit ganz schön vielen Küssen auf: hauptsächlich zwischen Coriolanus und seiner Frau Virgilia (Birgitte Hjort Sørensen), aber auch zwischen Coriolanus und seinem vormaligen Gegner Aufidius (Hadley Fraser). Letzteres hat manch einem Kritiker nicht so gefallen, ich fand’s toll! Und von dem her, was Aufidius vorher und nachher sagt, passt es für mich auch als Interpretation, aber ich kenne den Originaltext jetzt nicht und bin auch kein Purist, der laut aufschreit, wenn homoerotische Beziehungen angedeutet werden, wo keine sind. Im Gegenteil! 😉

Ich bereue eigentlich nur, dass ich mir nicht ein Herz gefasst hatte und mir ein Ticket für das Donmare Warehouse vor Ort besorgt hatte. Ich hätte so gerne die Möglichkeit gehabt, Tom evtl. beim Bühnenausgang abzupassen und ihm zu sagen, was für ein großartiger Schauspieler er ist. Sollte er jemals nochmal in England Theater spielen, werde ich das tun – unbedingt!

Lust bekommen? Im Cinema München wird am Samstag, den 1. Februar, um 10:00 die Aufzeichnung noch einmal aufgeführt. Ob das in anderen (deutschen) Städten auch der Fall ist, lässt sich sicher über die Website von NT Live herausfinden.

Ansehen!


3 Gedanken zu “NT Live (aus dem Donmar Warehouse): Coriolanus (30.01.14)

  1. „In jeder einzelnen Szene ist er so präsent, so “intense”, dass du die Augen nicht von ihm wenden kannst[…]“. Ohja, mir geht die eine Szene nicht mehr aus dem Kopf, als ihm voller Verzweiflung die Tränen in die Augen steigen. Gänsehaut! Das sind diese Momente, die einen normalen von einem verdammt starken Schauspieler unterscheiden. Wenn du dieses Lodern in den Augen erkennst, selbst wenn dich eine Leinwand und zig hundert Kilometer von ihnen trennen. Und du hast recht: Er rückt wie von selbst ins Zentrum, ganz ungewollt, aber er spielt immer noch mit den anderen Darstellern. Es ist kein Verlangen nach dem Lichtkegel, es ist einfach da. Fabelhaftes Stück, fabelhafte Akteure und toller Text! Hätte ich gerne nochmal gesehen.

    Und nach dem Stück hatte ich das Verlangen mit Mark Gatiss ein Bierchen zu trinken. Der hat diese lockere Art, die ich sehr mochte. 🙂

    Schaust du diese Übertragungen regelmäßig? Ich hätte so gerne ein paar aktuelle gesehen, nur leider wurde diese nicht bei uns übertragen. Naja, als Nächstes geht es wohl in die Wiederholung von Frankenstein mit Cumberbatch und Johnny Lee Miller. Auch gut 😉

    1. Ich versuche schon, möglichst alle NT LIVE-Übertragungen „mitzunehmen“. Das Cinema hier in München ( http://www.cinema-muenchen.de/filme/theater.html ) hat auch so ziemlich alles im Programm, das angeboten wird. Hab gerade schon wieder Neues entdeckt. 🙂 „Medea“ kann ich leider nicht sehen, weil ich da in London bin, um eben dann am 6.9. „Richard III“ zu sehen.

      „Frankenstein“ habe ich schon fünfmal (!) gesehen! Großartig! Einzigartig! Und ich habe gerade gesehen, dass sie es im November nochmal zeigen; das ist super, da werde ich wieder meine Schüler aus der 13. Klasse (Fachoberschule) mitnehmen! 🙂

      1. Oh Gott, meine Vorfreude auf Frankenstein ist gerade in exorbitante Höhen geschossen! Danke 😛
        Ich hätte aber soo gerne noch „Skylight“ (Bill Nighy MUSS ich einfach mal auf der Bühne sehen) und „A Streetcar named Desire“ gesehen. Vielleicht ergibt sich da nochmal eine Möglichkeit… jetzt freue ich mich aber erstmal auf „Frankenstein“.

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